Tipps zum Widerspruch gegen die Pflegestufe

Infos und Tipps zum Widerspruch gegen die Pflegestufe

Wer wegen seines fortgeschrittenen Alters oder infolge einer Krankheit auf Hilfe angewiesen ist, kann Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung beantragen. Ob und in welcher Höhe die Pflegekasse Leistungen bewilligt, hängt davon ab, welche Pflegestufe bei dem Betroffenen festgestellt wurde. Ihre Entscheidung teilt die Pflegekasse in einem Bescheid mit.

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Ist der Betroffene oder seine Pflegeperson der Meinung, dass der ermittelte Pflegebedarf der tatsächlichen Situation nicht gerecht wird, besteht die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen.

Dabei kann der Entscheidung sowohl dann widersprochen werden, wenn die Einstufung in einer Pflegestufe generell abgelehnt wurde, als auch dann, wenn die ermittelte Pflegestufe falsch erscheint.

Aber wie wird die Pflegestufe überhaupt ermittelt?
Und worauf gilt es bei einem Widerspruch zu achten? 

Die folgende Übersicht erklärt die wichtigsten Infos und Tipps zum Widerspruch gegen die Pflegestufe und stellt eine Mustervorlage für ein Widerspruchsschreiben zur Verfügung:  

Die Feststellung der Pflegestufe

Nachdem der Antrag auf Leistungen bei der Pflegeversicherung eingegangen ist, beauftragt diese den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit dem Erstellen eines Gutachtens. Dieses Gutachten nennt sich Pflegegutachten. Um das Pflegegutachten anfertigen zu können, stattet ein Gutachter des MDK dem Pflegebedürftigen einen Hausbesuch ab. 

Bei diesem Termin arbeitet der Gutachter mit zwei standardisierten Fragebögen: 

·         Der erste Fragebogen dient zur Ermittlung der Pflegebedürftigkeit. Dafür sind bestimmte Kriterien festgelegt, die den vorhandenen Hilfebedarf in den Bereichen Körperpflege, Ernähung, Mobilität und Hauswirtschaft berücksichtigen. 

Für jede Tätigkeit ist eine bestimmte Richtzeit vorgesehen. Allerdings soll die Begutachtung der tatsächlichen und persönlichen Situation gerecht werden. Deshalb hat der Gutachter die Möglichkeit, statt der festgelegten Richtzeiten von einem höheren Zeitbedarf auszugehen.

Dies kommt vor allem dann in Betracht, wenn die Pflege durch individuelle Gegebenheiten beim Pflegebedürftigen erschwert wird, beispielsweise durch starke Schmerzen, versteifte Gelenke oder erhebliches Übergewicht. 

·         Der zweite Fragebogen ermittelt den Betreuungsbedarf. Hierfür gibt es 13 Kriterien, durch die geprüft wird, ob die Alltagskompetenz des Betroffenen eingeschränkt ist.

Beispiele für diese Kriterien sind, ob der Betroffene gefährliche Situationen erkennen und einschätzen kann, ob er unkontrolliert die Wohnung verlässt und ob Störungen im Tag-Nacht-Rhythmus vorliegen. Erfüllt der Betroffene mindestens zwei Kriterien, stehen ihm Leistungen aus der Pflegeversicherung zu. 

Dieser Anspruch besteht auch dann, wenn die Voraussetzungen für eine Pflegestufe nicht erfüllt sind. Stellt der Gutachter sowohl eine Pflegestufe als auch eine eingeschränkte Alltagskompetenz fest, erhält der Pflegebedürftige Aufschläge. Wie hoch diese zusätzlichen Leistungen ausfallen, richtet sich nach dem Schweregrad. 

Seine Ergebnisse fasst der Gutachter in einem Pflegegutachten zusammen und leitet dieses dann an die Pflegeversicherung weiter. Die Pflegeversicherung stuft den Betroffenen daraufhin in eine Pflegestufe zwischen 0 als niedrigste Stufe und 3 als höchste Stufe ein. In aller Regel folgt die Pflegekasse dabei den Empfehlungen des Gutachters. Die festgestellte Pflegestufe entscheidet darüber, in welcher Höhe Leistungen gewährt werden.  

Die Vorbereitung auf den Gutachtertermin

Der Gutachter orientiert sich bei seinem Hausbesuch an festgelegten Kriterien, um einzuschätzen, ob und in welchem Umfang ein Pflege- und Betreuungsbedarf vorliegt.

Ein echtes Bild vom Lebensalltag und der Gesamtsituation kann er sich damit aber nicht machen, denn in der kurzen Zeit, in der er den Pflegebedürftigen erlebt, erhält er bestenfalls kurze Einblicke. Umso wichtiger ist deshalb eine gute und gründliche Vorbereitung auf den Gutachtertermin. 

Hierzu wiederum gehört vor allem,

·         mindestens zwei Wochen lang ein sogenanntes Pflegetagebuch zu führen. In dem Pflegetagebuch wird dokumentiert, welche Pflege- und Betreuungsleistungen wann und in welchem Umfang erbracht werden und wie viel Zeit für die einzelnen Tätigkeiten notwendig ist. Vordrucke für Pflegetagebücher stellen beispielsweise die Kranken- und Pflegekassen kostenlos zur Verfügung.

·         sämtliche Unterlagen, Arztberichte, Stellungnahmen und Gutachten zusammenzustellen, die Auskunft über die Krankengeschichte und den Pflegebedarf geben.

Bei dem Termin selbst sollte die Pflegeperson unbedingt anwesend sein. Wird der Betroffene von mehreren Personen gepflegt, sollten sie möglichst an dem Termin teilnehmen. Gleiches gilt, wenn der Betroffene von einem ambulanten Pflegedienst betreut wird.

Auch dann sollte ein Mitarbeiter dabei sein. Wichtig bei dem Termin ist außerdem, darauf zu achten, dass der Betroffene ehrlich und realistisch antwortet. Viele Betroffene schämen sich nämlich, zuzugeben, dass sie Hilfe brauchen. 

Andere möchten sich nicht eingestehen, dass sie vieles nicht mehr alleine können, oder spielen die Situation herunter. Manchmal sind Betroffene aber auch so aufgeregt, dass sie regelrecht aufblühen und plötzlich wieder Dinge können, die sonst nicht funktionieren.

Dies kann dazu führen, dass der Pflege- und Betreuungsbedarf falsch eingeschätzt wird. Deshalb ist gut, wenn die Pflegeperson falsche Aussagen richtigstellen und Hinweise auf die tatsächliche Situation geben kann. 

Der Widerspruch gegen die Pflegestufe

Die Pflegekasse teilt in einem Bescheid mit, ob und welche Pflegestufe festgestellt wurde, ob ein Betreuungsbedarf vorliegt und in welcher Höhe Leistungen bewilligt werden. Ist der Betroffene oder seine Pflegeperson mit der Entscheidung nicht einverstanden, beispielsweise weil die Pflegestufe abgelehnt oder eine zu niedrige Pflegestufe festgestellt wurde, kann dem Bescheid widersprochen werden.

Der Widerspruch muss schriftlich erfolgen und der Pflegekasse innerhalb von vier Wochen vorliegen. Als Widerspruch reicht ein formloses Schreiben aus. Aus diesem Schreiben muss hervorgehen, dass der Pflegebedürftige mit der Entscheidung der Pflegekasse nicht einverstanden ist. Eine Begründung ist nicht zwingend vorgeschrieben. Der Widerspruch ist also auch ohne Begründung wirksam und muss bearbeitet werden. 

Allerdings dürfte ein Widerspruch ohne Begründung kaum Aussicht auf Erfolg haben. Um den Widerspruch plausibel begründen zu können, muss aber zunächst einmal bekannt sein, wie die Pflegekasse überhaupt zu ihrer Einschätzung gekommen ist. Deshalb ist es sinnvoll, zunächst nur den Widerspruch zu erklären und gleichzeitig eine Kopie des Pflegegutachtens anzufordern.

Die Pflegekasse ist gesetzlich dazu verpflichtet, dem Betroffenen Einsicht in das Pflegegutachten zu gewähren. Anhand des Gutachtens kann dann überprüft werden, wie der Gutachter die Gesamtsituation einschätzt.

Die Punkte, die nach Ansicht des Betroffenen der tatsächlichen Situation nicht gerecht werden, können dann in der Widerspruchsbegründung genannt und ausgeführt werden. Gleiches gilt für Sachverhalte, die im Pflegegutachten kaum oder gar nicht berücksichtigt wurden.

Die Begründung kann dann in einem zweiten Schreiben nachgereicht werden. Dieses muss nicht innerhalb der Vier-Wochen-Frist bei der Pflegekasse vorliegen.

Tipp

Entscheidend für einen erfolgreichen Widerspruch ist, dass nicht nur Inhalte aufgeführt werden, die bereits bekannt sind. Reine Wiederholungen werden nicht viel bringen, denn die bereits bekannten Informationen haben ja gerade zu der vorliegenden Entscheidung geführt.

Der Betroffene sollte deshalb versuchen, seinen Widerspruch mit Sachverhalten, Einschränkungen und Beschwerden zu begründen, die bislang noch gar nicht oder nicht in dieser Form in die Beurteilung eingeflossen sind. 

Der Ablauf nach dem Widerspruch

Nachdem der Widerspruch eingegangen ist, muss die Pflegekasse den Sachverhalt noch einmal prüfen. In aller Regel wird sie dazu einen zweiten Begutachtungstermin veranlassen. Diesen zweiten Termin nimmt ein anderer Gutachter des MDK wahr, es erscheint also nicht noch einmal der Gutachter, der das erste Pflegegutachten erstellt hat.

Auf diesen zweiten Termin sollten sich der Betroffene und seine Pflegeperson genauso vorbereiten wie auf die erste Begutachtung. 

Liegt der Pflegekasse das Zweitgutachten vor, wird sie die gesamten Unterlagen prüfen und daraufhin ihre Entscheidung treffen. Diese kann zugunsten des Betroffenen ausfallen. In diesem Fall wird der erste Bescheid aufgehoben und ein neuer oder geänderter Bescheid erlassen.

Bleibt die Pflegekasse bei ihrer Entscheidung, wird der Widerspruch zurückgewiesen und ein sogenannter Widerspruchsbescheid erlassen. Gegen den Widerspruchsbescheid kann innerhalb von einem Monat Klage vor dem Sozialgericht erhoben werden.  

Die Unterschiede bei Privatversicherten

Ist der Pflegebedürftige Mitglied einer privaten Kranken- und Pflegekasse, gibt es ein paar Unterschiede. Der erste Unterschied besteht darin, dass die privaten Kranken- und Pflegeversicherungen nicht den MDK, sondern den Gutachterdienst „Medicproof“ mit dem Erstellen des Pflegegutachtens beauftragen.

Der zweite Unterschied ist, dass der Betroffene selbst keinen Anspruch darauf hat, das Pflegegutachten einzusehen. 

Einsicht in das Pflegegutachten erhalten nur ein Arzt des Betroffenen oder ein Rechtsanwalt. Der dritte und wahrscheinlich wichtigste Unterschied ist jedoch der, dass es bei privaten Kranken- und Pflegeversicherungen kein Widerspruchsverfahren gibt. Ist der Betroffene mit der Entscheidung nicht einverstanden, bleibt ihm somit nur die Klage vor dem Sozialgericht. 

Trotzdem kann und sollte sich der Betroffene mit einer Art Widerspruchsschreiben an seine Pflegekasse wenden. Die Praxis zeigt nämlich, dass sich viele Versicherungsgesellschaften gesprächsbereit zeigen, wenn der Versicherungsnehmer den Klageweg in Aussicht stellt. 

Vorlage für ein Widerspruchsschreiben 

Pflegebedürftige/r
Anschrift 

Pflegekasse
Anschrift 

Ort, den Datum  

Widerspruch gegen Ihren Bescheid vom _________________
Versicherungsnummer: ________________________________
Aktenzeichen: ________________________
Ihr Zeichen: ___________________
 

Sehr geehrte Damen und Herren, 

mit Bescheid vom __________ lehnen Sie meinen Antrag auf (höhere) Leistungen aus der Pflegeversicherung ab. Sie begründen Ihre Entscheidung damit, dass das Vorliegen einer (höheren) Pflegestufe nicht festgestellt wurde. Mit dieser Entscheidung bin ich nicht einverstanden. 

Die Einschätzung, dass die Voraussetzungen für die Einstufung in eine (höhere) Pflegestufe durch den vorhandenen Pflege- und Betreuungsbedarf nicht erfüllt sind, wird der tatsächlichen Situation meiner Meinung nach nicht gerecht.  Daher lege ich hiermit Widerspruch gegen den oben genannten Bescheid ein. 

Der Widerspruch erfolgt zunächst fristwahrend. Gleichzeitig bitte ich um die Zusendung von einer Kopie des Pflegegutachtens. Nach Erhalt der angeforderten Unterlagen werde ich die schriftliche Begründung meines Widerspruchs nachreichen. 

Mit freundlichen Grüßen,

Unterschrift

Anwalt für Sozialrecht in Ihrer Nähe

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