Gewalt in der Pflege
In den Medien machen immer wieder Schlagzeilen über Misshandlungen und Gewalttaten in Pflegeheimen die Runde. Es wird darüber berichtet, wie Heimbewohner mit Medikamenten ruhiggestellt, geschlagen oder an ihren Betten fixiert werden. Doch Gewalt hat viele verschiedene Gesichter.
Gerade im Bereich der Pflege, in der sich Menschen regelmäßig in der Privat- und Intimsphäre Dritter bewegen, nimmt Gewalt häufig subtile, erst auf den zweiten Blick erkennbare Formen an. So sind die Missachtung des Willens, die Verletzung des Schamgefühls, die soziale Isolierung, ein Essensentzug oder mangelhafte Hygienebedingungen genauso Gewaltformen wie körperliche Gewalt.
Hinzu kommt, dass Gewalt in der Pflege insgesamt ein weitverbreitetes Phänomen ist. Sie kommt keineswegs nur in Pflegeheimen vor, sondern findet auch im privaten Bereich statt. Außerdem kann die Gewalt von beiden Seiten ausgehen, vom Pflegepersonal ebenso wie vom Pflegebedürftigen.
Inhalt
Gewalt in der Pflege, ausgehend vom Pflegebedürftigen
Ein Mensch, der infolge einer Erkrankung, eines Unfalls oder einfach seines fortgeschrittenen Alters zum Pflegefall geworden ist, hat exakt die gleichen Grundbedürfnisse wie jeder andere, gesunde Mensch auch. Doch im Unterschied zu früher kann der Pflegebedürftige seinen Bedürfnissen nicht mehr selbst nachkommen, sondern ist auf die Hilfe anderer angewiesen. Was früher selbstverständlich war und mühelos klappte, geht jetzt auf einmal nicht mehr.
An diese veränderte Lebenssituation muss der Pflegebedürftige gewöhnen. Er muss sich seine Situation eingestehen, die neuen Umstände akzeptieren und lernen, Hilfe anzunehmen. Kann der Pflegebedürftige in seinem vertrauten Umfeld bleiben, muss er damit klarkommen, dass nun ständig Angehörige oder Mitarbeiter eines ambulanten Pflegedienstes in seine Wohnung kommen.
Sie halten sich in seinen Räumen auf, stellen vielleicht Möbelstücke um und schauen in seine Schränke. Sie haben ihre eigene Art, Kleidung zusammenzulegen, die Kissen aufzuschütteln, das Bett zu machen oder das Essen zuzubereiten. Der Pflegebedürftige ist zwar in seinem vertrauten Umfeld, aber trotzdem ist alles anders. Kann der Pflegebedürftige nicht zu Hause betreut werden, muss er sich nicht nur mit der neuen Situation anfreunden, sondern sich auch noch in einem ganz neuen Umfeld zurechtfinden.
Der Verlust der Privat- und Intimsphäre, der neue Rhythmus und generell die veränderte Lebenssituation machen vielen Pflegebedürftigen Angst. Sie fühlen sich hilflos, manchmal auch verzweifelt oder wütend. Einige schämen sich, andere sind frustriert und wieder andere völlig verwirrt. Alle diese Gefühlslagen können in Aggression umschlagen. Sie kann sich gegen die Angehörigen, das Pflegepersonal, die Mitbewohner im Heim oder auch gegen sich selbst richten.
Gewalt in der Pflege, in Pflegeheimen
Die stationäre Pflege basiert auf einem Pflegesystem, das wenig Spielraum lässt. Die Abläufe sind straff organisiert und die Zeiten, die für die Pflege jedes Bewohners vorgesehen sind, genau festgelegt. Damit das knapp bemessene Budget ausreicht, muss nicht selten an Pflegepersonal gespart werden. Für die Menschlichkeit bleibt da wenig Raum und Zeit.
Erschwerend kommt hinzu, dass den Beteiligten oft nicht bewusst ist, dass sie sich in einem Grenzbereich bewegen und die Situation jederzeit in Aggression umschlagen kann. So fängt es mitunter damit an, dass das Pflegepersonal einfach so und ohne vorher anzuklopfen ins Zimmer kommt oder der gestressten Pflegekraft immer häufiger das „Du“ herausrutscht („Jetzt stell dich nicht so an!“).
Weil die Zeit teilweise nicht ausreicht, um jeden Heimbewohner beim Gang auf die Toilette zu begleiten, werden vorsorglich Windeln angelegt. Um zu vermeiden, dass ein Heimbewohner wegen jeder Kleinigkeit oder auch aus Langeweile eine Pflegekraft ruft, wird der Rufknopf abgeschaltet.
Das Pflegeheim gibt vor, wann ein Heimbewohner aufstehen, seine Morgentoilette erledigen, sich anziehen, essen und schlafen gehen muss. Für einige Heimbewohner sind solche klar geregelten Abläufe sehr wichtig, andere fühlen sich bevormundet und kommen überhaupt nicht damit zurecht. Berichte über Missstände in Pflegeheimen und Bewohner, die mit Medikamenten ruhiggestellt, am Bett fixiert, angeschrien und geschlagen werden, sind mitunter die Folge.
Gewalt in der Pflege, im privaten Bereich
Im privaten Umfeld ist Überforderung die Hauptursache für Gewalt in der Pflege. Angehörige, die einen Pflegebedürftigen versorgen, sind in den wenigsten Fällen ausgebildetes Pflegepersonal. Das Zusammenspiel aus fehlendem Wissen, nicht vorhandener Erfahrung und einer oft ungewohnten körperlichen Nähe führt zu Stress. Manchmal stellen sich Schamgefühle, Mitleid oder gar Ekel ein, oft kommt die Angst, etwas falsch zu machen, dazu. Der Pflegebedürftige fordert und hält sein Umfeld auf Trab.
Die Pflegeperson muss mit der zusätzlichen Belastung zurechtkommen und ihren Alltag neu organisieren. All das kostet viel Kraft. Zudem müssen sich alle Beteiligten an die neue Rollenverteilung im Familiengefüge gewöhnen. Natürlich lässt sich Gewalt nicht damit entschuldigen, dass der Pflegebedürftige oder die Pflegekraft überfordert ist oder einen schlechten Tag hatte.
Genauso darf selbstverständlich nicht weggeschaut werden, wenn es zu einer Gewaltsituation gekommen ist. Es wäre aber zu einfach und vor allem ungerecht, schnelle Schuldzuweisungen und Verurteilungen auszusprechen. Entscheidend ist vielmehr, dass der Kreislauf durchbrochen wird. Dazu wiederum gehört, sich in die Situation aller Beteiligten hinzuversetzen und zu versuchen, ihre Gefühlslagen zu verstehen. Nur so lässt sich herausfinden, woher die Aggressionen kommen. Erst wenn das Verständnis für den jeweils anderen gegeben ist, ist die Basis vorhanden, um einen gemeinsamen Weg zu entwickeln.
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Thema: Gewalt in der Pflege
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